Stay away from Gretchen ist Susanne Abels Erstlingswerk, mit dem sie 2021 mehrere Monate auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste stand. Thematisiert werden Krieg, Flucht, das Schicksal der Brown-Babies und die Alzheimer Demenz. Auch von Elke Heidenreich wurde es als lesenswert empfohlen.
1939 – 1945. Greta lebt mit ihrer Familie, glühende Anhänger der Nazis, in Ostpreußen. Der Tag des Kriegsausbruchs ist ein Freudentag. Greta bringt ihren Opa täglich im Rollstuhl in die Waffenfabrik. Otto meldet sich zum Militär. Auf der Flucht erleben sie Ermordungen, Vergewaltigungen, Hunger und Tod. In Heidelberg, wo sie bei Verwandten unterkommen, spüren sie die ablehnende Haltung der Westler. Greta besorgt alles Nötige auf dem Schwarzmarkt. Sie lernt den schwarzen GI Bob kennen, der für ihre Familie sorgt. Sie bekommt ein Kind von ihm, worauf Bob aus dem Haus geworfen wird. Er will nach Amerika, um aus der Armee auszutreten, damit er Greta als Weiße heiraten kann. Seine Briefe werden unterschlagen und Greta verzweifelt. Sie spürt die Verachtung der Umgebung und der eigenen Familie. Sie muss für den Lebensunterhalt Geld verdienen und Marie in ein Heim geben. Nachdem ihr das Sorgerecht entzogen ist, wird Marie als „Brown Baby“ nach Amerika gebracht und zur Adoption freigegeben. Konrad, dessen Eltern durch Bomben zu Tode gekommen sind, steht ihr zur Seite.
2015: Tom Monderath, der einzige Sohn von Greta, ist als Nachrichtenmoderator gestresst. Er erkennt langsam, dass seine Mutter an Demenz leidet. Er findet ein Foto mit einem braunen Mädchen. Als er es seiner Mutter zeigt, blockt diese ab. Er will das Vorleben seiner Mutter erforschen, wobei ihm seine Assistentin Jenny hilft.Sie spürt Bob auf und Tom trifft sich mit ihm in Amerika. Bob will „sein Gretchen“ wiedersehen, doch Greta erkennt ihn nicht. Nach Toms Recherchen ist Marie an einer Leukämie verstorben.
Das Buch erzählt vom Krieg und der nicht weniger leidvollen Nachkriegszeit: Flucht vor den mordenden und vergewaltigenden Russen, Ablehnung durch die Westler und das Schicksal der „Bown Babies“. Ein weiteres Thema des Romans ist die Demenz. Mit dem Auftreten der ersten Symptome kümmert Tom sich liebevoll um seine Mutter, zu der er früher ein eher distanziertes Verhältnis hatte.
Susanne Abel beschreibt die Personen in verständlicher und nachvollziehbarer Weise. Greta, die von Kind an für ihre Familie sorgte, wird wegen des farbigen Kindes von ihr verstoßen. Ihr Kind wird ihr genommen und zur Adoption in Amerika freigegeben. Die Zeichnung von Greta ist so treffend, dass man als Leser mitleidet. Oma Guste, die immer ein Ohr für Greta hat, und mit deren Tod Greta eine Vertraute verloren hat. Otto, der Nazi, grob, unter Alkohol brutal, der seine Tochter schlägt und „Negerhure“ schimpft. Bob, der sich in seiner tiefen Liebe zu Greta auch um deren Familie kümmert, mit Opa Ludwig Trompete spielt, ein harmonisches Familienbild. Doch als Gretchens Schwangerschaft bekannt wird, wird er vertrieben, seine liebevollen Briefe werden unterschlagen und ihm wird vorgelogen, „sein Gretchen“ sei verheiratet und ihr Mann habe Marie adoptiert.
Sehr genau zeichnet Susanne Abel auch die Zeichen der frühen Demenz. Zunächst werden sie nicht wahrgenommen, doch dann kommen die Stimmungsschwankungen, die Versuche, Vergessen zu bagatellisieren und zu überspielen, und die falsche Selbsteinschätzung mit Distanzverlust.
Ich finde das Buch lesenswert. Es zeigt nicht nur Schatten- sondern auch Sonnenseiten. Die Schilderung der einzelnen Situationen ist fesselnd und spannend. Ich bin gespannt auf das Folgebuch „Was ich nie gesagt habe“.